Reste

Arnulf Rainer entwickelt Mitte der 1950er-Jahre die Bildsprache der Übermalung. Körpergroße Arbeiten mit Bezeichnungen wie Schwarz auf Gelb, Schwarz auf Ocker, Grün, Blau, Weiß … charakterisieren diese Werkgruppe. Ziel war das fast verschlossene Bild. Den Prozess der Übermalung dehnt Rainer aus. Immer wieder setzt er Spuren über das Darunter. Pastos, deckend bis lasierend, zeigen sich die unterschiedlichen Formen des Farbauftrags in seinen Übermalungen. Dichte kontemplative Arbeiten entstehen.

In den 1970er-Jahren hat Rainer die Idee zu einem außergewöhnlichen Buchprojekt, um diesen Vorgang des Verhüllens noch weiter treiben zu können. Fotografische Reproduktionen seiner frühen Übermalungen kaschiert er auf Platten aus Aluminium in der richtigen Größe, um sie wie eine Buchseite aussehen zu lassen. Diese übermalt er in gewohnter Manier und schafft damit neue intensive, auf ein mögliches Minimum an Rest reduzierte Arbeiten. Sie sind in Originalgröße reproduzierbar, und eine Auswahl dieser Werke erscheint 1978 als Buchedition.

„Diese Bilder leben natürlich vom weißen Rest, von der Fast-Verdeckung, vom ,Noch-Nicht‘-Prinzip. Nützte man die Buchseite ganz, wäre es unmöglich, dieses Flächenprinzip zu veranschaulichen. Ich habe mich deshalb entschlossen, graue Ränder zu arrangieren. […] In meinen großen Ölbildern gibt es sie aber nicht. Bei den Nachfolgearbeiten löst ihre Zugabe ein neues Bilddenken und starke Gestaltveränderungen aus. So sind die Ausgangsformen, also die alten Ölbilder, kaum noch zu erkennen.“

(Text: Christa Armann)

(Arnulf Rainer, in: Schriften, hg. von Corinna Thierolf, Ostfildern 2010, S. 171–172)